Ökumenische Andacht zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau
„Analog“: 27.4.2020, 17 Uhr, Evangelische Versöhnungskirche
in der KZ-Gedenkstätte Dachau
Online ab 29.4.2020, 17 Uhr, bei www.bayern-evangelisch/75J.BefreiungDachau
Glocke (Einzug von der katholischen Todesangst-Christi-Kapelle mit dem Coventry-Kreuz)
Begrüßung
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Amen
Jesus Christus spricht: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind,
da bin ich mitten unter ihnen. (Mt. 18,20)
Heute sind wir zu fünft hier, in der Evangelischen Versöhnungskirche auf dem einstigen Gelände des Konzentrationslagers Dachau. Wir möchten am Ort der Verbrechen an die Opfer und an den 75. Jahrestag der Befreiung erinnern.
Mein Name ist Björn Mensing. Ich bin Pfarrer dieser Kirche. An meiner Seite: die Musikstudentin Sophie Aeckerle, Ludwig Schmidinger von der Katholischen Seelsorge und Diakon Klaus Schultz. Und hinter der Kamera: Axel Mölkner-Kappl. Er filmt unser Gedenken, damit Interessierte sich die Aufzeichnung zu Hause am 29. April gegen 17.30 Uhr, zum Zeitpunkt der Befreiung vor 75 Jahren, ansehen können - oder auch später. Wegen der Corona-Krise ist die Gedenkstätte derzeit geschlossen. Öffentliche Gottesdienste und Veranstaltungen sind leider nicht möglich.
Unser besonderer Gruß gilt Ihnen, den KZ-Überlebenden und den alliierten Befreiern und Ihren Familien. Wir wissen, dass einige von Ihnen diese Andacht zu Hause sehen. Das ist für uns eine große Ehre und Freude, und nicht selbstverständlich – angesichts der Verstrickung der deutschen Kirchen damals. So wende ich mich, auch mit meiner eigenen Familiengeschichte, an Sie mit Worten aus der Stuttgarter Schulderklärung vom Herbst 1945:
Mit großem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden.
Im Mittelpunkt unserer ökumenischen Andacht sollen Zeugnisse von Häftlingen des Konzentrationslagers Dachau stehen.
Wir hören die erste und letzte Strophe aus dem Dachaulied von Jura Soyfer und Herbert Zipper. Die beiden linksorientierten NS-Gegner stammten aus jüdischen Familien und wurden 1938 aus Wien nach Dachau verschleppt. Herbert Zipper dazu, wie das Lied entstand:
Im August 1938 […]: Jura Soyfer und ich mussten eine ganze Woche lang einen Lastwagen mit Zementstücken beladen [...] Eines Tages [...] sagte ich zu Jury, der an derselben Stange wie ich gezogen hat: „Weißt Du, diese Aufschrift über dem Tor - Arbeit macht frei - ist wirklich ein Hohn. Wir müssen unbedingt ein Widerstandslied machen, unseren Mitgefangenen ein bisschen Mut geben.“ […] Es war etwa drei Tage später [...] als Jura [...] mir den Text vortrug, denn aufschreiben konnte man ihn natürlich nicht. [...] Und so habe ich den Text eben auswendig gelernt [und vertont].
Dachaulied
1. Stacheldraht, mit Tod geladen,
ist um uns're Welt gespannt.
D'rauf ein Himmel ohne Gnaden
sendet Frost und Sonnenbrand.
Fern von uns sind alle Freuden,
fern die Heimat, fern die Frau'n,
wenn wir stumm zur Arbeit schreiten,
Tausende im Morgengrau'n.
Refrain:
Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt
und wurden stahlhart dabei.
Sei ein Mann, Kamerad.
Bleib ein Mensch, Kamerad.
Mach ganze Arbeit, pack an Kamerad.
Denn Arbeit, Arbeit macht frei.
4. Einst wird die Sirene künden;
auf zum letzten Zählappell.
Draußen dann, wo wir uns finden
bist du, Kamerad zur Stell'.
Hell wird uns die Freiheit lachen,
vorwärts geht's mit frischem Mut.
Und die Arbeit, die wir machen,
diese Arbeit, sie wird gut.
Namentliches Gedenken an Jura Soyfer
Die SS verlegt die beiden Künstler wenig später ins KZ Buchenwald. Herbert Zipper wird 1939 entlassen und flieht über Paris auf die Philippinen. Jura Soyfer stirbt in Buchenwald im Alter von 26 Jahren an den mörderischen Haftbedingungen. Die von ihm in der letzten Liedstrophe ersehnte Befreiung erlebt er nicht mehr.
Wir entzünden eine Kerze für Jura Soyfer. Möge ihm in Ewigkeit hell die Freiheit lachen.
Kyrie eleison (orthodoxe Liturgie aus der Ukraine)
Gedenken an alle NS-Verfolgten, an die Opfer rechtsextremer Gewalt seit 1945
und an die im Kampf gegen Hitler-Deutschland gefallenen alliierten Soldaten
Wir entzünden eine Kerze für alle Menschen, die hier in Dachau und millionenfach an so vielen Orten unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ermordet wurden: jüdische Frauen, Kinder und Männer, Sinti und Roma, Kommunisten, Sozialdemokraten und andere Frauen und Männer im Widerstand, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, als sogenannte Asoziale und Berufsverbrecher Ausgegrenzte, Kriegsdienstverweigerer, Zwangsarbeiterinnen, polnische Geistliche und sowjetische Kriegsgefangene.
Wir denken auch an die Menschen, die nach 1945 Opfer von Antisemitismus, Rassismus, politischer Verfolgung und Gewalt geworden sind. So jüngst geschehen beim Anschlag in Hanau.
Und wir denken an die alliierten Soldaten, die im Kampf gegen Hitler-Deutschland gefallen sind.
Mögen sie alle in Ewigkeit in Frieden ruhen.
Kyrie eleison (orthodoxe Liturgie aus der Ukraine)
Zitat von Joseph Rovan zur Befreiung
Der junge deutsch-französische Journalist und Résistance-Kämpfer Joseph Rovan beschreibt den Moment seiner Befreiung am Sonntag, dem 29. April 1945:
Plötzlich […] da trug es die Menschenmenge auf dem Appellplatz wie eine Woge nahe an das Jourhaus heran. Das schmiedeeiserne Tor stand weit offen. […] Vier Menschen in amerikanischer Uniform waren aus [einem Jeep] gesprungen […]: ein sehr großer schwarzer Mann […], zwei weiße Männer und … eine Frau. […] Einer der weißen Männer [rannte] zum Eingang des Jourhauses. Einen Augenblick später tauchte er auf dem Balkon auf […]. Seit Häftlingsgedenken hatte niemand von da oben an das verachtete und erniedrigte Volk der Gefangenen das Wort gerichtet. „Lasst uns beten, Brüder“, rief er auf Englisch, „lasst uns dem Herrn danken für diesen Tag der Befreiung. Nochmals hat er Israel, sein Volk, aus Pharaos Ägypten herausgeführt.“ Nur die wenigsten von denen, die ihm erstaunt zuhörten, verstanden Englisch, und nur wenige unter ihnen hatten nicht aufgehört, auch in der Hölle an den Himmel zu glauben. Dieses unerwartete Gebet trieb mir die Tränen in die Augen, es war so unpassend und wunderbar zugleich, zu schön, um wahr zu sein. […] Ich blickte wieder zu dem vierten Amerikaner hinüber, der mit der Frau und dem schwarzen Mann beim Jeep geblieben war, und sah, dass er […] ein Jude war. Eine sonderbare innere Heiterkeit hatte mich erfasst. Zu viele Symbole trafen hier auf einmal zusammen […]
Joseph Rovan erlebt, wie die erschütterten Soldaten in den Unterkunftsbaracken die von ihnen Befreiten beschenken:
[Sie] wussten […] kaum, wie sie den beklagenswerten Opfern ihrer Feinde Anteilnahme beweisen sollten. Sie verteilten mit vollen Händen Zigaretten, Schokolade, Lebensmittelrationen […] und sogar Geld.
Joseph Rovan selbst sucht den Ort auf – nur wenige Meter von hier -, an dem er sich in den Monaten zuvor bei der Frühmesse immer wieder innerlich gestärkt hat, um „dem Hunger und der Angst etwas besser zu widerstehen“ - wie er es ausdrückt. Inhaftierte Geistliche durften seit 1941 in einem schlichten Betsaal im Block 26 katholische und evangelische Gottesdienste feiern. Die SS schloss aber nach kurzer Zeit die vielen polnischen Priester davon aus. Und alle anderen Häftlinge. Einige gelangten aber dennoch hinein. So auch Joseph Rovan.
Ich ließ den Lärm, die Freudenschreie, den Trubel, das Stöhnen der Kranken und das Röcheln der Sterbenden hinter mir, begab mich in die Kapelle und ließ mich in der Dunkelheit nieder […] Ich setzte mich und atmete langsam durch, um meinem Herzschlag zu beruhigen. Ich glaube nicht, dass ich wirklich gebetet habe […] Ich lauschte einfach in die Stille hinein, die nach und nach die Leere durchdrang. Es war wie ein kurzer Augenblick der Gnade.
When Israel was in Egypt´s Land
1. When Israel was in Egypt’s land:
Let my people go,
oppressed so hard they could not stand,
let my people go.
Refrain:
Go down, Moses,
Way down in Egypt´s land,
Tell old Pharaoh,
Let my people go.
4. Oh let us all from bondage flee.
Let my people go,
And let us all in Christ be free.
Let my People go.
Refrain: Go down …
Evangelium: Johannes 6,35+37-40
Wir hören das heilige Evangelium, das in katholischen Kirchen auf der ganzen Welt in diesem Jahr am 29. April gelesen wird. Es steht bei Johannes im 6. Kapitel und möge heute ein Trost sein für alle, die geliebte Menschen verloren haben – damals im KZ oder heute bei Anschlägen und Epidemien:
Jesus Christus spricht:
35Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.
37Alles, was der Vater mir gibt, wird zu mir kommen, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen;
38denn ich bin nicht vom Himmel herabgekommen, um meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.
39Es ist aber der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich keinen von denen, die er mir gegeben hat, zugrunde gehen lasse, sondern dass ich sie auferwecke am Letzten Tag.
40Denn es ist der Wille meines Vaters, dass alle, die den Sohn sehen und an ihn glauben, das ewige Leben haben und dass ich sie auferwecke am Letzten Tag.
Zitat von Karl Adolf Groß
Am 30. April 1945 notiert der deutsche Verleger und Schriftsteller Karl Adolf Groß, seit 1940 im KZ Dachau, in sein Tagebuch:
So üppig hat uns der Fleischtopf noch nie gelacht wie heute. Es war fast zu viel des Guten […], dieser jähe Wechsel von bitterer Not zum feenhaften Überfluss. Zu einem Viertel Brotes wurde eine große, zwei Pfund schwere Büchse mit herrlichem Konservenfleisch [...] verteilt, die wir kaum zu zweien zu bewältigen vermochten. [...] Kein schlechter Anfang, nein, kein schlechter Anfang! Wie heißt es in der heutigen Losung der Brüdergemeinde [aus Psalm 34]? „Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist!“ Auch der Gaumen soll Zeuge sein der zarten Fürsorge unseres Vaters im Himmel!
Lesung: Psalm 133,1
Gleich hören wir die Vertonung von Worten aus dem 133. Psalm im hebräischen Original.
Eine deutsche Übersetzung lautet:
Siehe, wie gut und schön ist es, wenn Brüder und Schwestern in Eintracht zusammenleben!
Hinneh mah-tov u-mah-na‘im
Vaterunser
Wir wissen von Überlebenden: Es gab auch unter den mörderischen Bedingungen im KZ Momente, in denen die Häftlinge Gemeinschaft und Eintracht erlebten: Bei solidarischer Zuwendung und beim gemeinsamen Singen und Beten. Oft waren es die vertrauten Worte des Vaterunsers. Zum Zeichen der Verbundenheit, über alle Grenzen von Zeit und Ewigkeit hinweg, lade ich ein, dass wir das Gebet des Herrn nun gemeinsam beten, jede und jeder in der vertrauten Sprache:
Vater unser im Himmel
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich
und die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit.
Amen.
We shall overcome
1. We shall overcome,
We shall overcome,
We shall overcome, some day.
Refrain:
Oh, deep in my heart,
I do believe
We shall overcome, some day.
3. We shall live in peace,
We shall live in peace,
We shall live in peace, some day.
Refrain: Oh, deep in my heart …
4. We are not afraid,
We are not afraid,
We are not afraid, TODAY
Refrain: Oh, deep in my heart …
Segen
Geht, getröstet und ermutigt zum Einsatz für die universelle Achtung der Menschenrechte, für die verfolgten und notleidenden Frauen, Kinder und Männer, für den Frieden,
mit dem Segen unseres Gottes:
Der Herr segne euch und behüte euch,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig,
der Herr erhebe sein Angesicht über euch und gebe euch Frieden.
Amen
Glocke
Konzeption, Text- und Musikauswahl: Kirchenrat Dr. Björn Mensing, Pfarrer und Historiker, in Abstimmung mit der Sängerin Sophie Aeckerle, Pastoralreferent Ludwig Schmidinger und Diakon Klaus Schultz.
„Analog“: 27.4.2020, 17 Uhr, Evangelische Versöhnungskirche
in der KZ-Gedenkstätte Dachau
Online ab 29.4.2020, 17 Uhr, bei www.bayern-evangelisch/75J.BefreiungDachau
Glocke (Einzug von der katholischen Todesangst-Christi-Kapelle mit dem Coventry-Kreuz)
Begrüßung
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Amen
Jesus Christus spricht: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind,
da bin ich mitten unter ihnen. (Mt. 18,20)
Heute sind wir zu fünft hier, in der Evangelischen Versöhnungskirche auf dem einstigen Gelände des Konzentrationslagers Dachau. Wir möchten am Ort der Verbrechen an die Opfer und an den 75. Jahrestag der Befreiung erinnern.
Mein Name ist Björn Mensing. Ich bin Pfarrer dieser Kirche. An meiner Seite: die Musikstudentin Sophie Aeckerle, Ludwig Schmidinger von der Katholischen Seelsorge und Diakon Klaus Schultz. Und hinter der Kamera: Axel Mölkner-Kappl. Er filmt unser Gedenken, damit Interessierte sich die Aufzeichnung zu Hause am 29. April gegen 17.30 Uhr, zum Zeitpunkt der Befreiung vor 75 Jahren, ansehen können - oder auch später. Wegen der Corona-Krise ist die Gedenkstätte derzeit geschlossen. Öffentliche Gottesdienste und Veranstaltungen sind leider nicht möglich.
Unser besonderer Gruß gilt Ihnen, den KZ-Überlebenden und den alliierten Befreiern und Ihren Familien. Wir wissen, dass einige von Ihnen diese Andacht zu Hause sehen. Das ist für uns eine große Ehre und Freude, und nicht selbstverständlich – angesichts der Verstrickung der deutschen Kirchen damals. So wende ich mich, auch mit meiner eigenen Familiengeschichte, an Sie mit Worten aus der Stuttgarter Schulderklärung vom Herbst 1945:
Mit großem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden.
Im Mittelpunkt unserer ökumenischen Andacht sollen Zeugnisse von Häftlingen des Konzentrationslagers Dachau stehen.
Wir hören die erste und letzte Strophe aus dem Dachaulied von Jura Soyfer und Herbert Zipper. Die beiden linksorientierten NS-Gegner stammten aus jüdischen Familien und wurden 1938 aus Wien nach Dachau verschleppt. Herbert Zipper dazu, wie das Lied entstand:
Im August 1938 […]: Jura Soyfer und ich mussten eine ganze Woche lang einen Lastwagen mit Zementstücken beladen [...] Eines Tages [...] sagte ich zu Jury, der an derselben Stange wie ich gezogen hat: „Weißt Du, diese Aufschrift über dem Tor - Arbeit macht frei - ist wirklich ein Hohn. Wir müssen unbedingt ein Widerstandslied machen, unseren Mitgefangenen ein bisschen Mut geben.“ […] Es war etwa drei Tage später [...] als Jura [...] mir den Text vortrug, denn aufschreiben konnte man ihn natürlich nicht. [...] Und so habe ich den Text eben auswendig gelernt [und vertont].
Dachaulied
1. Stacheldraht, mit Tod geladen,
ist um uns're Welt gespannt.
D'rauf ein Himmel ohne Gnaden
sendet Frost und Sonnenbrand.
Fern von uns sind alle Freuden,
fern die Heimat, fern die Frau'n,
wenn wir stumm zur Arbeit schreiten,
Tausende im Morgengrau'n.
Refrain:
Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt
und wurden stahlhart dabei.
Sei ein Mann, Kamerad.
Bleib ein Mensch, Kamerad.
Mach ganze Arbeit, pack an Kamerad.
Denn Arbeit, Arbeit macht frei.
4. Einst wird die Sirene künden;
auf zum letzten Zählappell.
Draußen dann, wo wir uns finden
bist du, Kamerad zur Stell'.
Hell wird uns die Freiheit lachen,
vorwärts geht's mit frischem Mut.
Und die Arbeit, die wir machen,
diese Arbeit, sie wird gut.
Namentliches Gedenken an Jura Soyfer
Die SS verlegt die beiden Künstler wenig später ins KZ Buchenwald. Herbert Zipper wird 1939 entlassen und flieht über Paris auf die Philippinen. Jura Soyfer stirbt in Buchenwald im Alter von 26 Jahren an den mörderischen Haftbedingungen. Die von ihm in der letzten Liedstrophe ersehnte Befreiung erlebt er nicht mehr.
Wir entzünden eine Kerze für Jura Soyfer. Möge ihm in Ewigkeit hell die Freiheit lachen.
Kyrie eleison (orthodoxe Liturgie aus der Ukraine)
Gedenken an alle NS-Verfolgten, an die Opfer rechtsextremer Gewalt seit 1945
und an die im Kampf gegen Hitler-Deutschland gefallenen alliierten Soldaten
Wir entzünden eine Kerze für alle Menschen, die hier in Dachau und millionenfach an so vielen Orten unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ermordet wurden: jüdische Frauen, Kinder und Männer, Sinti und Roma, Kommunisten, Sozialdemokraten und andere Frauen und Männer im Widerstand, Zeugen Jehovas, Homosexuelle, als sogenannte Asoziale und Berufsverbrecher Ausgegrenzte, Kriegsdienstverweigerer, Zwangsarbeiterinnen, polnische Geistliche und sowjetische Kriegsgefangene.
Wir denken auch an die Menschen, die nach 1945 Opfer von Antisemitismus, Rassismus, politischer Verfolgung und Gewalt geworden sind. So jüngst geschehen beim Anschlag in Hanau.
Und wir denken an die alliierten Soldaten, die im Kampf gegen Hitler-Deutschland gefallen sind.
Mögen sie alle in Ewigkeit in Frieden ruhen.
Kyrie eleison (orthodoxe Liturgie aus der Ukraine)
Zitat von Joseph Rovan zur Befreiung
Der junge deutsch-französische Journalist und Résistance-Kämpfer Joseph Rovan beschreibt den Moment seiner Befreiung am Sonntag, dem 29. April 1945:
Plötzlich […] da trug es die Menschenmenge auf dem Appellplatz wie eine Woge nahe an das Jourhaus heran. Das schmiedeeiserne Tor stand weit offen. […] Vier Menschen in amerikanischer Uniform waren aus [einem Jeep] gesprungen […]: ein sehr großer schwarzer Mann […], zwei weiße Männer und … eine Frau. […] Einer der weißen Männer [rannte] zum Eingang des Jourhauses. Einen Augenblick später tauchte er auf dem Balkon auf […]. Seit Häftlingsgedenken hatte niemand von da oben an das verachtete und erniedrigte Volk der Gefangenen das Wort gerichtet. „Lasst uns beten, Brüder“, rief er auf Englisch, „lasst uns dem Herrn danken für diesen Tag der Befreiung. Nochmals hat er Israel, sein Volk, aus Pharaos Ägypten herausgeführt.“ Nur die wenigsten von denen, die ihm erstaunt zuhörten, verstanden Englisch, und nur wenige unter ihnen hatten nicht aufgehört, auch in der Hölle an den Himmel zu glauben. Dieses unerwartete Gebet trieb mir die Tränen in die Augen, es war so unpassend und wunderbar zugleich, zu schön, um wahr zu sein. […] Ich blickte wieder zu dem vierten Amerikaner hinüber, der mit der Frau und dem schwarzen Mann beim Jeep geblieben war, und sah, dass er […] ein Jude war. Eine sonderbare innere Heiterkeit hatte mich erfasst. Zu viele Symbole trafen hier auf einmal zusammen […]
Joseph Rovan erlebt, wie die erschütterten Soldaten in den Unterkunftsbaracken die von ihnen Befreiten beschenken:
[Sie] wussten […] kaum, wie sie den beklagenswerten Opfern ihrer Feinde Anteilnahme beweisen sollten. Sie verteilten mit vollen Händen Zigaretten, Schokolade, Lebensmittelrationen […] und sogar Geld.
Joseph Rovan selbst sucht den Ort auf – nur wenige Meter von hier -, an dem er sich in den Monaten zuvor bei der Frühmesse immer wieder innerlich gestärkt hat, um „dem Hunger und der Angst etwas besser zu widerstehen“ - wie er es ausdrückt. Inhaftierte Geistliche durften seit 1941 in einem schlichten Betsaal im Block 26 katholische und evangelische Gottesdienste feiern. Die SS schloss aber nach kurzer Zeit die vielen polnischen Priester davon aus. Und alle anderen Häftlinge. Einige gelangten aber dennoch hinein. So auch Joseph Rovan.
Ich ließ den Lärm, die Freudenschreie, den Trubel, das Stöhnen der Kranken und das Röcheln der Sterbenden hinter mir, begab mich in die Kapelle und ließ mich in der Dunkelheit nieder […] Ich setzte mich und atmete langsam durch, um meinem Herzschlag zu beruhigen. Ich glaube nicht, dass ich wirklich gebetet habe […] Ich lauschte einfach in die Stille hinein, die nach und nach die Leere durchdrang. Es war wie ein kurzer Augenblick der Gnade.
When Israel was in Egypt´s Land
1. When Israel was in Egypt’s land:
Let my people go,
oppressed so hard they could not stand,
let my people go.
Refrain:
Go down, Moses,
Way down in Egypt´s land,
Tell old Pharaoh,
Let my people go.
4. Oh let us all from bondage flee.
Let my people go,
And let us all in Christ be free.
Let my People go.
Refrain: Go down …
Evangelium: Johannes 6,35+37-40
Wir hören das heilige Evangelium, das in katholischen Kirchen auf der ganzen Welt in diesem Jahr am 29. April gelesen wird. Es steht bei Johannes im 6. Kapitel und möge heute ein Trost sein für alle, die geliebte Menschen verloren haben – damals im KZ oder heute bei Anschlägen und Epidemien:
Jesus Christus spricht:
35Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.
37Alles, was der Vater mir gibt, wird zu mir kommen, und wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen;
38denn ich bin nicht vom Himmel herabgekommen, um meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.
39Es ist aber der Wille dessen, der mich gesandt hat, dass ich keinen von denen, die er mir gegeben hat, zugrunde gehen lasse, sondern dass ich sie auferwecke am Letzten Tag.
40Denn es ist der Wille meines Vaters, dass alle, die den Sohn sehen und an ihn glauben, das ewige Leben haben und dass ich sie auferwecke am Letzten Tag.
Zitat von Karl Adolf Groß
Am 30. April 1945 notiert der deutsche Verleger und Schriftsteller Karl Adolf Groß, seit 1940 im KZ Dachau, in sein Tagebuch:
So üppig hat uns der Fleischtopf noch nie gelacht wie heute. Es war fast zu viel des Guten […], dieser jähe Wechsel von bitterer Not zum feenhaften Überfluss. Zu einem Viertel Brotes wurde eine große, zwei Pfund schwere Büchse mit herrlichem Konservenfleisch [...] verteilt, die wir kaum zu zweien zu bewältigen vermochten. [...] Kein schlechter Anfang, nein, kein schlechter Anfang! Wie heißt es in der heutigen Losung der Brüdergemeinde [aus Psalm 34]? „Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist!“ Auch der Gaumen soll Zeuge sein der zarten Fürsorge unseres Vaters im Himmel!
Lesung: Psalm 133,1
Gleich hören wir die Vertonung von Worten aus dem 133. Psalm im hebräischen Original.
Eine deutsche Übersetzung lautet:
Siehe, wie gut und schön ist es, wenn Brüder und Schwestern in Eintracht zusammenleben!
Hinneh mah-tov u-mah-na‘im
Vaterunser
Wir wissen von Überlebenden: Es gab auch unter den mörderischen Bedingungen im KZ Momente, in denen die Häftlinge Gemeinschaft und Eintracht erlebten: Bei solidarischer Zuwendung und beim gemeinsamen Singen und Beten. Oft waren es die vertrauten Worte des Vaterunsers. Zum Zeichen der Verbundenheit, über alle Grenzen von Zeit und Ewigkeit hinweg, lade ich ein, dass wir das Gebet des Herrn nun gemeinsam beten, jede und jeder in der vertrauten Sprache:
Vater unser im Himmel
Geheiligt werde dein Name.
Dein Reich komme.
Dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute.
Und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich
und die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit.
Amen.
We shall overcome
1. We shall overcome,
We shall overcome,
We shall overcome, some day.
Refrain:
Oh, deep in my heart,
I do believe
We shall overcome, some day.
3. We shall live in peace,
We shall live in peace,
We shall live in peace, some day.
Refrain: Oh, deep in my heart …
4. We are not afraid,
We are not afraid,
We are not afraid, TODAY
Refrain: Oh, deep in my heart …
Segen
Geht, getröstet und ermutigt zum Einsatz für die universelle Achtung der Menschenrechte, für die verfolgten und notleidenden Frauen, Kinder und Männer, für den Frieden,
mit dem Segen unseres Gottes:
Der Herr segne euch und behüte euch,
der Herr lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig,
der Herr erhebe sein Angesicht über euch und gebe euch Frieden.
Amen
Glocke
Konzeption, Text- und Musikauswahl: Kirchenrat Dr. Björn Mensing, Pfarrer und Historiker, in Abstimmung mit der Sängerin Sophie Aeckerle, Pastoralreferent Ludwig Schmidinger und Diakon Klaus Schultz.